Amazonien — spannend, vielfältig & fragil
Das größte zusammenhängende Regenwaldgebiet unseres Planeten ist ein wahrer Schatz an Biodiversität, kultureller sowie linguistischer Vielfalt und seit 500 Jahren auch ein Schmelztiegel der Ethnien Südamerikas, Afrikas und Europas. Die Caboclos als Nachkommen von afrikanischen Sklaven, Indianern und europäischen Missionaren/Abenteurern leben ihre einzigartige Kultur entlang der Ufer des größten Flusssystems (wirklich 3 S?) der Erde, teils in ‚Straßendörfern‘ (die Flüsse sind als Verkehrswege zu begreifen), teils in Millionenstädten wie Manaus und Belém, neuerdings aber auch in rasch wachsenden Mittelstädten, die durch kulminierende Wirtschaftzyklen punktuell entstehen und oft Schauplätze großer sozialer und ökologischer Problematiken sind.
Hier lebten vor der Ankunft der sogenannten ‚Entdecker‘ und wohlwollenden Missionare Hunderte von Ethnien mit eigenen Sprachen und Kulturen, die sich ihrem schwierigen Lebensraum perfekt angepasst haben und oft weiträumig (bspw. durch Handel) untereinander verbunden waren. Die Ufer des Hauptstromes sind seit mehreren hundert Jahren leergefegt: Versklavung und Krankheiten aus Europa dezimierten die Indigenen rasch und führten zu fluchtartigen Migrationsbewegungen, immer tiefer in den Wald hinein. Von den wenigen überlebenden gibt kaum noch Ethnien, die in ihrem angestammten Gebiet leben, und die allermeisten sind in irgendeiner Form bereits globalisiert. Dennoch finden sich in abgelegenen und unzugänglichen Waldgebieten sogenannte unkontaktierte Völker, die seit Generationen aus gutem Grunde versuchen, den Kontakt mit der ‚Zivilisation‘ zu meiden. Die brasilianische Regierung versucht, diese durch Geheimhaltung ihres Lebensraumes und die Ausweisung großer Reservate zu schützen. Es bleibt abzuwarten, wie ernsthaft und erfolgreich diese Bemühungen sein werden und man kann nur das beste hoffen.
Der amazonische Regenwald erstreckt sich nördlich und südlich der Äquators vom östlichen Andenrand bis ins westliche Maranhão (Atlantikküste des nördlichen Brasiliens) und bedeckt eine Fläche, in die Deutschland zwanzig Mal hineinpassen würde. Die Beschreibungen dieses Raumes reichen von „Paradies“ bis „grüne Hölle“, und in gewisser Hinsicht treffen beide Annahmen zu. Amazonien kann ein Paradies für denjenigen sein, der erkennt, dass das Nutzungspotential dieses in sich geschlossenen Ökosystems sehr beschränkt ist und dass er sich für die gewinnmaximierende kapitalistische Inwertsetzung nicht eignet. Wer dies missachtet, wird scheitern — wie beispielsweise Henry Ford, der ab den 1920er Jahren in ‚Fordlândia‘ und später in ‚Belterra‘ (beide im brasilianischen Bundesstaat Pará) versuchte, im großen Stil in Monokultur kostengünstig Kautschuk für die Reifenproduktion zu gewinnen. Er verkannte dabei unter anderem, wie nährstoffarm die Böden dieses so üppig wachsenden Regenwaldes sind. Er lebt von Sonnenlicht, großteils selbst produzierten Niederschlägen und über Jahrtausende in Biomasse akkumulierten und kreisenden bzw. oszillierenden Nährstoffen. Sein Geheimnis ist eine Vielzahl an Symbiosen, ohne die er nicht bestehen kann — der Mensch hat gerade erst begonnen, einige dieser Symbiosen zu verstehen. Henry Ford scheiterte mit seinen Projekten, setzte Millionen in den Sand, rodete sinnloserweise große Flächen und verursachte massive soziale Missstände in seiner Regenwaldkolonie. Es ist ein Paradebeispiel für viele Projekte, die die Nutzlosigkeit der kapitalistischen Inwertsetzung Amazoniens offenbar(t)en.
Dennoch: Der Regenwald nutzt uns bereits, er ist eine global wirksame Klimaanlage. Allein schon deswegen sollten wir ihn stehen lassen! Er ist aber auch Lebensraum für Millionen von Menschen, unter ihnen viele vom Aussterben bedrohte Völker, deren Kultur, Sprache und Weisheit für immer verschwinden könnte. Tausende unentdeckter Tier- und Pflanzenarten gilt es noch zu entdecken und zu erforschen. Es ist davon auszugehen, dass Amazonien eine Vielzahl an bis dato unbekannten, wertvollen Medizinpflanzen beherbergt. Aber auch der Wald an sich, in seiner unendlichen Vielfalt und bukolischen Schönheit, ist ein Wert. Eine Fortführung des momentan stattfindenden, gewinnorientierten Raubbaus wird nicht nur die Menschen in Amazonien an den Abgrund führen. Schützen wir diesen einzigartigen Natur- und Kulturraum, sorgen wir dafür, dass die dort ansässigen Menschen gut leben können, tragen wir durch bewußten Konsum und nachhaltig orientierten Tourismus zur Aufklärung bei, ermahnen wir Regierungen und Konzerne zu effektiven Schutzmaßnahmen!
Hi Ole,
sehr schöner Beitrag mit tollen Bildern:D Ich wette, dass es auf den Philippinen auch noch ein paar unkontaktierte Völker gibt – genauso wie die Zerstörung des Regenwalds, leider.
Aber glücklicherweise gibt es auch Wiederaufforstungsprojekte, die zwar wie ein Tropfen auf den heißen Stein anmuten – doch immerhin!